Lernkurven und der Wille zum Erfolg
Sehen wir uns die aktuellen Zahlen für die Neuinstallationen von Phovotoltaikanlagen, Neuzulassungen von Elektroautos und die Ausbaupläne für die Zellfertigung von Batteriespeichern an. Und stellen uns dann die Frage, wie Planer, EPCs und Industrie aus Deutschland eigentlich mit dem daraus resultierenden Unterschied in der Lernkurve umgehen können. In Zahlen ausgedrückt, China versus Deutschland bei der PV-Systemtechnik – 50:2 Gigawattpeak, Lernkurve: 25-mal höher als in Deutschland.
Bei der Produktionskapazität von Lithium-Ionen-Zellen 2018 sieht es noch krasser aus
China versus Europa: 120:0,x Gigawattstunden, Lernkurve: unmessbar höher als in Europa.
Wir haben im Bereich Wafer/Zellen/Module gesehen, wie die Produktionen in der EU durch den größeren Willen in China fast vollkommen verschwunden sind. Im Speichersektor gibt es für die Batteriezellen erst gar keine nennenswerte Produktion.
Die Auflistung der Lernkurven kann man einfach so fortführen: Im Sektor Elektroauto und Ladeinfrastruktur hat China 2016 mit Faktor zehn gegenüber Deutschland gelernt, denn dort wurden vergangenes Jahr über 350.000 Elektroautos zugelassen. Also gilt die Lernkurve unter anderem auch beim Bau von Elektromotoren für Autos und deren Konstruktion, ebenso in der Fertigung von „Packages“ und der Einbindung von Speichern in das System.
China kehrt in seine alte Rolle als führende Nation zurück. Wir sollten nun aber nicht einfach in eine Art „Dauerkrisengerede“ über Europa zurückfallen oder einen Wettbewerb um neue Technik gar nicht erst aufnehmen, wie es derzeit bei den Batteriezellen aussieht.
Warum nicht auch hier?
Wir müssen zur Realisierung der Energiewende in Deutschland die Sektorkopplung konsequent umsetzen, 400 Gigawattpeak Solar und nahezu 300 Gigawattpeak Wind errichten und den kompletten Systemumbau stemmen. Den Bedarf gibt es. Die Möglichkeiten auch: China hat ein Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von 8.100 US-Dollar, wir haben eines von 42.000 US-Dollar – wem fällt das Investieren pro Kopf nun leichter?
Es ist eine tolle Leistung, was China derzeit beim Systemumbau schafft. Nur noch einmal zur besseren Vorstellung: 50 Gigawattpeak 2017 sind in einem Jahr 15 Prozent mehr Photovoltaikleistung, als wir bisher komplett errichtet haben – und doch nicht mehr als das, was auch wir angesichts der extrem gesunkenen Kosten nun bauen könnten, wenn wir wollten. Auch bei uns wird jeden Tag neben dem Kohlendioxid verdammt viel Quecksilber und alles Mögliche sonst noch durch die Schornsteine der Kohlekraftwerke und die Auspuffrohre unserer Super-Verbrenner emittiert. Jeden Tag gibt es für Ihre und meine Lunge genug Gründe, jetzt schneller umzubauen und zum Beispiel mit Solar-Wind-Gigawatthybriden in den Kohlestandorten für neue Arbeit zu sorgen statt mit Dauerstreit für Stillstand.
Ob wir den „China-Style“ hier packen können?
Ich bin mir sicher, es würde sich lohnen. Wenn hierzulande ein EPC-Unternehmer 20 Megawattanlagen – in seiner Heimatsprache und in der Region, die er kennt – pro Jahr bauen kann, so kann eine vergleichbare Firma in China schnell 500 solcher Anlagen bauen. In seiner Heimat wohlgemerkt, ohne sich zum Beispiel auf die Sprache und Regeln in Frankreich einstellen zu müssen. Dachanlagen in Industriegebieten, die mehrere Hundert Megawattpeak groß sind, oder Gigawattanlagen im Freiland findet man dort und sucht man sonst auf der Welt weitestgehend vergeblich. In diesen Anlagenklassen entsteht in der Heimat der chinesischen EPC-Unternehmen und in chinesischer Sprache Know-how, welches dann mit den Modulen, Wechselrichtern und allem anderen, was diese aus ihrer Heimat gewohnt sind, exportiert werden wird. Billiger, effizienter und besser als aus Deutschland – denn hier gibt es vieles gar nicht mehr. Und das System-Know-how veraltet.
Wer das verhindern will, muss auch endlich bereit sein, von China zu lernen. In der Gestaltung der Förderung ist das chinesische System extrem leistungsorientiert – mit den Top-Runner-Programmen müssen die Modulhersteller immer bessere Effizienz bringen. So was gibt es in der EU nicht. Mit den Förderungen für landwirtschaftliche Doppelnutzung werden gigawattweise Erfahrungen zur doppelten Nutzung von Flächen gesammelt. Solche Dinge werden in Deutschland nur in Mini-Forschungsprogrammen marktfern ausprobiert. Das Armutsbekämpfungsprogramm vergibt Kredite an arme Haushalte, damit sie sich eine Solaranlage kaufen und damit Geld verdienen. Stelle man sich hier mal vor: Hartz-IV-Empfänger zu Unternehmern machen. Dazu gibt es dann noch dezentral Programme, zum Beispiel wurden mittlerweile über 1.000 Minigrids im Land installiert (Deutschland = null, deshalb können deutsche Unternehmen hier nur im Ausland lernen).
Bei den Batteriespeichern setzt chinesische Politik detaillierte Ziele
Die Energiedichte der Batteriepacks soll sich bis 2020 auf 260 Wattstunden pro Kilogramm verdoppeln und der Preis um 30 Prozent auf 150 US-Dollar pro Kilowattstunde sinken. Das nennt man Ambition. In einen i3 passen dann statt 28 Kilowattstunden 53 Kilowattstunden, und Speicherstromkosten, bezogen auf die reine Batterie, gehen auf ein Cent pro Kilowattstunde zu. Hinzu kommt, dass China internationale Marktentwicklungen zum Beispiel in Afrika massiv unterstützt, auch für Solarenergie, und nicht nur auf große Kraftwerke und große Projekte setzt. Diese Programme helfen den chinesischen EPC-Unternehmen, immer schneller vor Ort zu lernen. China sieht die Welt nicht nur als Lieferanten für Rohstoffe, sondern auch als Markt.
Die Situation, von der aus wir in Deutschland bei einer Aufholjagd starten müssen, ist sogar noch schlimmer: Versuchen Sie einmal als Mittelständler, der nicht Teil der „Fresskette“ ist, bei KfW, DEG und Co. Kredite oder Bürgschaften für (Erneuerbare-)Energie-Projekte in Afrika zu bekommen. Die gleichen Organisationen, die noch immer desaströse fossile Großprojekte fördern, fordern von Ihnen dann alles, auch Infos, ob Sie Ihren Hamster artgerecht halten. Gehen Sie mit ihrem Projekt zu einem großen chinesischen Anbieter von Solartechnik, finden sie Offenheit für Projekte in Afrika – und entsprechende Mittel. Die deutschen Institutionen sehen Afrika entweder als Spendenempfänger oder vertrauen weitgehend noch immer nur in große Strukturen oder Projekte. Die dann mit allen bekannten schädlichen Wirkungen vor die Tür gekippt werden. Auch hier muss sich die Grundhaltung schnell ändern, will man die „deutsche Kompetenz“ auf diesem großen Wachstumsmarkt erhalten. Sonst macht das alles China und, ganz ehrlich, das ist dann auch gut so. Hauptsache, es passiert endlich.
Auch bei den Autos und Ladesäulen weiß man, was zu tun wäre:
Zulassungsrestriktionen und stramme Vorgaben. Für die Batterieindustrie unter anderem das Ziel, binnen fünf Jahren die Kapazität pro Kilogramm Gewicht zu verdoppeln. Für die Solarindustrie: ein schneller Ausstieg aus der Braunkohle und Schluss mit den willkürlichen Restriktionen beim Zubau.
Für dieses Jahr werden in China 700.000 neu zugelassene Elektroautos erwartet und davon werden nur sieben Prozent Hybridfahrzeuge sein. Das ist eine Verdopplung zu den Zulassungszahlen von 2016. China hat also in zwei Jahren das Ziel von Bundeskanzlerin Angela Merkel – das mittlerweile einkassiert wurde – von einer Million Elektroautos bis 2020 überschritten. In Deutschland schaffen wir mit Hybriden 2017 vielleicht 40.000 neue Zulassungen. Auch hier lernen China und die chinesische Autoindustrie also fast 20-mal schneller als die westlichen Unternehmen. Gleiches gilt für die Ladeinfrastruktur, welche bislang in China sehr pragmatisch nach dem Motto „Low cost, low power“ läuft – also auf gut Deutsch: nur mit maximal 22 Kilowatt.
So sehen Mut und Lust auf Technologie aus.
China ist ein wirklicher Lehrmeister. Der deutsche Ökonom Joseph Schumpeter hätte seine wahre Freude an der Umsetzung dort gehabt. Weil weder Adam Smith noch Friedrich August von Hayek auf der wirtschaftsliberalen Seite noch auf der anderen Seite Karl Marx mit dem steten Wechsel von Markt und Vorgaben umgehen konnten, finden wir im Westen bisher keine Mittel gegen das Reich der Mitte. Noch muss hier die Welt ja immer nur schwarz oder nur weiß sein. Ob wir das in Deutschland mit „Jamaika“ ändern können?
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