Keine Schlagzeile für das „Geilste“: Habecks Knaller CO2- Exit im Stromsektor bis 2035

Es ist erfreulich viel über die Ideen und Details von Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habecks Pressekonferenz am 11.1.2021 (siehe im Bild, Quelle BMWK/ twitter) berichtet worden, unter anderem auch im pv magazine. Vieles wurde breit begrüßt, einige Akteure verschiedener Couleur übten sich in gewohnt lautstarker Ablehnung oder der gewöhnlichen „reicht alles nicht um den Weltuntergang zu verhindern“-Rhetorik.

Das „Geilste“ an Habecks Ankündigungen wurde hingegen nur in den Nebensätzen berichtet: Bis 2035 soll nun der komplette Stromsektor dekarbonisiert werden – dies ist nun die neue Zielstellung verbunden auch einer fortlaufend besseren Einschätzung des deutlich wachsenden Strombedarfs.

Oder anders formuliert. 14 mal noch „Prost Neujahr“ sagen und beim 14. Mal ist der Job erledigt. Also 14 Jahre Zeit oder 3,5 Legislaturperioden.

Zwei Jahre weniger als Angela Merkel und ihre Klimaschutz-Zauderer und -Verhinderer im Amt waren. Was man leider abseits von Parteipolitik so sehen muss. Es ist im Grunde ein Wunder oder ein extrem starker Beweis für die massiven Vorteile die Erneuerbaren-Technik, wie weit wir trotz des ganzen „ja, aber …“ oder „das müssen wir unter Kontrolle halten“ der vergangenen 16 Jahre gekommen sind.

Namhafte Bremserinnen und Bremser sind nun unter anderem wegen Korruptionsverdacht gar nicht mehr im Parlament oder aus ihren politisch verankerten Positionen beispielsweise im Wirtschaftsministerium entlassen worden. Und was für ein Unterschied im gesamten Auftreten und den Botschaften zwischen dem ehemaligen Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und dem neuen Robert Habeck (Grüne).

„Wir sind wieder gewollt“ – so formulieren es daher immer mehr Unternehmerinnen und Unternehmer aus dem Solar- und Erneuerbaren-Bereich. Bei vielen Beteiligten klingt dabei noch immer ein „ich glaube es noch nicht“ mit. Aber es ist so. Und so wurde unter anderem im Wirtschaftsministerium neben dem neuen Minister nahezu die gesamte Führung des Hauses ausgetauscht. Denn nur so wird ein realpolitischer Aufbruch gelingen können. Nicht länger müssen wenige Abgeordnete „das Schlimmste verhindern“ oder mühselig Verbesserungen einfordern. Jetzt steht also nach der noch notwendigen Aufstockung des Personal „gestalten“ und „möglich machen“ im Vordergrund. Was für ein Unterschied in der realpolitischen Welt. Das ist sehr wichtig, denn so wird die ganze Branche nicht nur für den Kapitalmarkt, sondern auch als Arbeitsplatz (nun mit echter Zukunft) wieder richtig spannend. Und auch sicherer als bisher. Dann werden sich viele dafür entscheiden und gerade der Generation „Fridays for Future“ kann eine super Perspektive in Jobs aller Art zum „Mitgestalten“ präsentiert werden.

Lassen wir uns das also nochmal auf der Zunge zergehen: 100 Prozent Dekarbonisierung bis 2035!

Mit höheren Zahlen für den Verbrauch ein Quantensprung zu den noch bis Spätsommer 2021 – aus meiner Sicht absichtlich – niedrig gehaltenen Fehlprognose aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Das Ziel von 100 Prozent wollte man erst gar nicht so recht in den Mund nehmen. Nimmt man beides zusammen, ein Sprung in die reale Welt verbunden mit einer nie dagewesenen Formulierung der Ambitionen auf für den Alltag in der Umsetzung.

Dies hat drastische Auswirkungen auf alle zugehörigen Gesetze und Regelungen – weit mehr als Zahlen für Ausschreibungen oder Ausbauziele von erneuerbare Energien im EEG.

Man kann nicht länger so tun, als käme eine Netzplanung auch noch Jahrzehnte ohne einen massiven Speicher-Rollout aus. Oder wie ein Kollege meinte: „Wer koordiniert eigentlich Speicher, Netze, Verbrauch, Erzeugung“? Die Antwort ist „bisher niemand“ und das ist schon bizarr genug. Das kann man jetzt anders machen und wir als Erneuerbaren- Branche sind dringend aufgefordert, das nun auch endlich in der erforderlichen Breite anzupacken. Also: „Weniger Zappelstrom wagen“, wie ein Kollege scherzhaft meinte. Was auch für die Akteure auf der Netzseite gilt, denn auch dort sind Speicher weiter eher ein Versuchsobjekt oder gar Fremdkörper. Denn Netzbetreiber und Speicherbetrieb sind nach EU-Gesetzgebung getrennt. Und woher sollen dann beide Parteien eine enge Planungsabstimmung nehmen, wenn sich dafür politisch bisher keiner interessierte. Eine Facette mit gewaltigen Auswirkungen in den kommenden Jahren. Denn kriegen wir das Zielsystem und dessen Ableitungen in die Gegenwart nicht sofort ins Laufen, werden viele der neuen Photovoltaik-Kapazitäten schon 2024 oftmals abgeriegelt werden müssen, da es dafür schlicht keinen Verbrauch gibt. Der Wind kennt das schon lange, oft fehlen noch Netze, aber das reicht nicht, denn kein noch so großes Netz kann einen zeitlichen Versatz oder (vollständige) Glättung des „Zappelstroms“ vornehmen. Und Verbraucher können nun mal nix mit „Zappelstrom“ anfangen.

Neue Gaskraftwerke sollen kommen, wovon ich angesichts derer CO2-Emissionen und der geopolitischen Schwierigkeiten rund um das Gas eh nichts halte. Mal abgesehen davon, dass diese von der nötigen Fokussierung auf das Erneuerbaren-Zielsystem ablenken. Die Gaskraftwerke würden noch wenige Jahre mit CO2 laufen können. Ob da jemand ernsthaft investiert? Basierend auf einer (noch) extrem wackligen Wasserstoff-Hoffnung. Und der Hoffnung das diese überhaupt passen wird. Plant man nun endlich genauer in der realen Welt.

Für Gas-Pipelines  gilt dann auch „mehr Rückbau wagen“ – anstelle künstlich Verwendungen dafür zu suchen, die eben in die Vergangenheit angehören, wenn man CO2-Null ernst nimmt.

Fossile Kraft-Wärme-Kopplungs (KWK)-Anlagen 20 Jahre fördern? Im Bundesverband Neue Energiewirtschaft haben wir 2021 als erster Verband gefordert, diese Förderung einzustellen. Mit noch 14 Jahren maximaler Laufzeit kann das nicht ernsthaft weitergehen und sollte umgehend anders gestaltet werden. Eben vollständig ausgerichtet auf das Zielsystem und weg von „stranded assets“.

Die Liste der Implikationen in der realen Welt von nun realen Zielen ist sehr lang. Viel Futter für Blogs und Diskussionen, aber auch schnellen Entscheidungen abseits der für mich schon lange völlig fremden Feilscherei um Vergütungssätze (für „Zappelstrom“). Das Bild ist größer zu bearbeiten und erstmals schafft die Politik gerade dafür die Voraussetzungen. Was die Dinge für uns massiv anspruchsvoller werden lässt. Das gerade wir das können, haben wir bereits gezeigt: Solar- und Windstrom haben wir billig und massenverfügbar gemacht. Wir sind digital vorne in der Energiewirtschaft und Speicher werden gerade noch schneller als einst die Erzeuger billiger und massenverfügbar machen. Die Revolution in der Elektromobilität schafft extreme Speicherkapazitäten, zusätzlich massive Solarerzeugung an Fahrzeugen und viel Innovation in den Netzen, Stromvertrieb und so weiter.

Daher kann man auch selbstbewusst sagen: „Wer hat Angst vom Zappelstrom- niemand“. Denn das ist ein Feature der Erneuerbaren-Erzeugung und wie die „Dunkelflaute“ kein Gespenst. Also ganz normal, kein Aufreger und Teil des Fortschritts – In einem System, was nun auch politisch klar wird.

Lassen Sie uns alle Kraft einsetzen, um diese Herausforderung zu schaffen. Denn der Projektplan hat nun die für den Klimaschutz mehr als nötige kurze Laufzeit und ist sehr anspruchsvoll.

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3 Kommentare

  1. Hallo Herr Remmers,

    danke für Ihren Kommentar. Allerdings wird ein wichtiger Punkt stets aus dem Energiewende-Werkzeugkasten ausgeblendet, auch bei Ihnen, wenn Sie meinen, kein Verbraucher könnte etwas miz „Zappelstrom“ anfangen. Selbstverständlich geht das. Jeder große Tank hat einen Füllstands-Voralarm, der Abschaltet, wenn er vollgepumpt wird. Der braucht nur etwas niedriger gesetzt werden und dann wird nachgepumpt, wenn Öko-Strom da ist. Das selbe gilt für Windkessel hinter Kompressoren, E-Mobil-Batterien und eben auch Waschmaschinen und Warmwaserspeicher zuhause und, und, und…

    Hierfür braucht es, wenn wir das Preissignal als Führungsgröße nehmen wollen, einen überall transparent verfügbaren öffentlichen Prognose-Mechanismus, auf der in die Strom-Verträge eingebaut werden kann und schon fangen alle an, Strom zu verbrauchen, wenn er billig ist.

    Demand-Side-Management needs Zappelstrom!

  2. Ich bin doch verwundert, dass Sie scheinbar eine Wasserstoffwirtschaft nicht als Lösung des Problems erkennen. Das Erdgasnetz zum H2-Netz umgestaltet, ist der einzige Speicher der in Größenordnung von hunderten Terrawattstunden vordringt. Selbst wenn alle 47 Mio. PKW mit im Durchschnitt einer 50KWh Akku ausgestattet sind und davon bereit sind 20% per V2G einem Regelsystem zur Verfügung zu stellen, sind das lediglich 0,5 TWh. Da kommen Sie nicht weit in einer Dunkelflaute.
    Langfristig ist die Lösung eine große Wasserstoffwirtschaft. Wenn man die optimiert, kann man sogar die EE-Kraftwerkeleistung kleiner halten, als manche Denken. Elektrolyse bei zu hohen Leistungen im Netz und Brennstoffzellen zur Rückverstromung schaffen den Ausgleich das ganze Jahr über. Und um keine Energie zu verschenken unbedingt Kraftwärmekopplung (Sektorenkopplung) betreiben.

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